„Europa ist ganz schön kompliziert!“

So lautete das Fazit einer rundum gelungenen Exkursion an das Landesinstitut für Lehrerbildung. Unser Jahrgang 10 entschied in einem EU-Planspiel über Zutaten von Schokolade.
Fast 120 Schülerinnen und Schüler unserer 10. Klassen simulierten den schwierigen Verhandlungs- und Entscheidungsprozess in der Europäischen Union. Sie schlüpften in die Rollen von Parlamentariern, Ministern, Staatsekretären und Lobbyisten und mussten über eine europäische Richtlinie für Kakao- und Schokoladenerzeugnisse entscheiden.

Erfahren Sie, warum Fett in der Schokolade ein spannender Streitpunkt ist.

Bereits zum vierten Mal fand am Dienstag, den 15.04, ein Planspiel zum Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union in den Räumen des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung unter der Leitung unserer PGW-Lehrer und Lehrerinnen statt. Fast 120 Schülerinnen und Schüler unserer 10. Klassen erhielten die Gelegenheit, den schwierigen Verhandlungs- und Entscheidungsprozess in der EU kennenzulernen, indem sie selbst in die Rollen als Parlamentarier, Minister, Staatsekretäre und Lobbyisten schlüpften und politische Entscheidungen treffen mussten. Der Auslöser wirkte ganz harmlos: 1973 regelte die EU unter welchen Bedingungen die Bezeichnung „Schokolade“ zu führen ist. Die Richtlinie besagte, dass Schokolade mindestens 35 % Kakaotrockenmasse enthalten müsse. Andere pflanzliche Fette durften nicht zugesetzt werden. Eine Ausnahmeregelung erhielten die Länder, die seit 1973 der EG beigetreten waren: Ihnen wurde erlaubt, 5 % andere pflanzliche Fette zuzufügen. Es war in den Folgejahren unklar, ob die in diesen Ländern unter der Bezeichnung „Schokolade“ hergestellten Produkte in den innereuropäischen Handel (Binnenmarkt) gebracht werden durften. Schließlich kam es zum Streit: Italien und Spanien weigerten sich, „unechte“ Schokolade aus Großbritannien ins Land zu lassen.

Zur Lösung des Konflikts schlug die Europäische Kommission vor, zukünftig einen Maximalanteil von 5% an fremden Fetten in Schokoladen zu gestatten und für diese Produkte den Handel in der EU freizugeben. Mit diesem Vorschlag mussten sich nun die Schülerinnen und Schüler in dem Planspiel auseinandersetzen: Als Abgeordnete im Europäischen Parlament, Vertreter von Mitgliedsstaaten im Ministerrat, Lobbyisten von CAOCOM, des Verbandes der europäischen Schokoladenindustrie sowie von TRANSGLOBE, eine Nichtregierungsorganisation, die Interessen afrikanischer Entwicklungsstaaten vertritt.

Eine Talkshow zu Beginn des Planspiels förderte die unterschiedlichen Interessen und Positionen der EU-Politiker zum Kommissionsvorschlag zutage. Gefährdet die Richtlinie das Wirtschaftswachstum in Europa? Welche Verantwortung soll die EU gegenüber den Entwicklungsländern haben? Gehört nicht „reine“ Schokolade zur europäischen Kultur? Sind Fremdfette gesundheitsschädlich? Und: Soll nicht jeder Verbraucher und jedes Unternehmen frei entscheiden dürfen, was er isst bzw. produziert? In den nachfolgenden Verhandlungsrunden und Sitzungspausen des Europäischen Parlaments und des Ministerrats diskutierten und verhandelten unsere Schülerinnen und Schüler um Zutatenmengen und -arten, um zusätzliche Besteuerungen für Großkonzerne, um die Gestaltung von Transfair-Siegeln auf der Schokoladenverpackungen und um viele andere Details. Nach zuweilen dramatischen Minuten in den beiden Gremien, in denen sich die Mehrheiten für den Kommissionsvorschlag und der Null-Prozent-Fremdfett-Forderung einiger EU-Fraktionen und Mitgliedsländern schlagartig abwechselten, brachte wohl letztendlich die Erschöpfung einiger Parlamentarier und Minister den Durchbruch: Aus Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Entwicklungsländer und zur Sicherung von Qualität und europäischer Kultur darf Schokolade in Europa zukünftig nur Kakaobutter als Fett enthalten!

Hier hatte die wirkliche EU anders entschieden. Nach 18 (!) Jahren Verhandlungen stimmte sie für den Kommissionsvorschlag und der Erlaubnis 5% anderer Fette als Kakaobutter in Schokolade zuzusetzen.

Zukünftig werden unsere Schülerinnen und Schüler vielleicht mit Verständnis schmunzeln, wenn in den Nachrichten über Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse innerhalb der EU berichtet wird – wahrscheinlich werden sie sich auch die Inhaltsangaben ihrer bevorzugten Schokoladenmarke genauer anschauen.